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Gernot Tscherteurealitylab – September 1994

Interface-Design für c a l c

Die kommunikativen Austauschprozesse von c a l c mit seiner Umwelt sollen analysiert und durch einen Designprozess optimiert werden. Das Designziel besteht in der Gestaltung un Realisierung eines Interfaces von c a l c zu seiner Umwelt hin. p<>.Ein Interface ist in diesem Falle, die kommunikative Schnittstelle (Oberflaeche) einer Gruppe zu seiner Umwelt. Den Begriff Umwelt begrenzen wir auf den Raum, den sie telematischen Medien aufspannen. Im Interfacedesign treffen sich technische, soziologische und kuenstlerische Fragestellungen in einem sehr konkreten Rahmen und mit greifbaren Zielen. Darin liegt die ueber c a l c hinausreichende Bedeutung dieses Projektes. p<>.Der Kern des Interfaces wird gleichzeitig auch Oberflaeche der “Interaktiven Atelierskulptur” sein und somit Teil eines prozesshaften Kunstwerks.

Warum Gruppen wie c a l c wichtig sind und wie man ihre Beziehungen mit der Umwelt gestalten kann

Das Urbild einer System-Umwelt Relation ist die Beziehung eines Lebewesens mit seinem Milieu. Von dieser Seite kommen, neben der Physik, die zur Zeit wesentlichsten Antriebe und Konzepte zur Entwicklung von Systemtheorien auch in anderen Bereichen, wie z.B. der Soziologie. Im Kern geht es hier um den Versuch, analog zu lebenden Systemen, die Interaktionsprozesse einer Gruppe, c a l c, und ihrer Umwelt zu beschreiben. Die Biologie dient uns dabei nur als inspirative Quelle, ohne daß wir deshalb die Biologie allein zur Erklärung sozialer Prozesse heranziehen wollten.

Das Bild von der Haut

Allen Lebewesen – zumindest denen die wir kennen – gemeinsam ist, daß sie räumlich begrenzt sind. Eine solche Grenze, z.B. eine Haut oder eine Zellmembran, ist weniger als Demarkationslinie zu verstehen sondern vielmehr als Erkenntnisinstrument, über das die Umwelt wahrgenommen wird und das umgekehrt Stoffwechselprodukte an die Umwelt abgibt. Bei entwickelten Lebewesen, v. a. solchen die über ein cerebrales Nervensystem verfügen, könnte man das, was eine Grenze ist noch weiterfassen: Neben der Haut zählen dazu auch noch alle anderen Sinnesorgane, sowie die Fähigkeit sich der Umwelt gegenüber zu äußern; äußern heißt einfach, innere Zustände an der Oberfläche wiederzuspiegeln. Ob eine solche äußerung verstanden wird, ob sie überhaupt als solche gedacht war, ist freilich eine andere Frage, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Es mag genügen, festzustellen, daß die Wahrnehmungen eines Systems und die Verständlichkeit seiner äußerungen kurz die Fähigkeit zur Kommunikation auf einem eingespielten Verhältnis, also auf der Koevolution eines Systems mit seiner Umwelt beruhen.

Kommunizieren? Ja, aber mit wem?

Wie sieht dies nun bei sozialen Systemen z.B. bei Gruppen aus. Wie bilden sie Grenzen oder sagen wir besser eine Oberfläche aus, die die Interaktionsprozesse mit der Umwelt regeln. Der Freiraum für Gestaltung ist hier natürlich wesentlich größer, als bei den durch die Evolution vorgegebenen Grenzen von Lebewesen. Soziale Gruppen können ihre Evolution bewußt und selbst vorantreiben und können dementsprechend auch die Interaktionsbeziehungen mit ihrer Umwelt planen und organisieren. Dies wird umso wichtiger, je differenzierter (d.h. je mehr in Funktionen und Professionen zergliedert) eine Gesellschaft ist und je breiter das Band von Kommunikationsmöglichkeiten wird, das zur Verfügung steht. Breite bezieht sich hier sowohl auf das Angebot an möglichen Kommunikationspartnern also auch auf die zur Verfügung stehenden Medien. Die Welt- Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist derartig ausdifferenziert, daß es zunehmend unmöglicher wird, den geeigneten Kommunikationspartner zu finden; man könnte auch sagen, jeder lebt seine spezifische Wirklichkeit und glücklich, wer sie wenigstens in einer Gruppe mit anderen teilen kann. Besonders die Kunst steht den revolutionären Möglichkeiten zu kommunizieren mit erstaunlicher Rat- und Einfallslosigkeit gegenüber; einfach deshalb weil die Wahl für das eine oder andere Medium und den einen oder anderen Gesprächspartner beliebig erscheint. Wirtschaft und Wissenschaft haben es viel besser verstanden in den telematischen Raum einzudringen, einerseits natürlich deshalb weil sie im allgemeinen über die besseren materiellen Resourcen verfügen, auf der anderen Seite vielleicht deshalb weil es nicht einfach ist, einen so gewaltigen und noch dazu ständig expandierenden Raum mit Phantasie zu durchdringen. Die großen Freiheitsgrade erweisen sich in diesem Fall eher als Hindernis. Zwar fehlt es nicht an Utopien, doch die wenigsten haben ersthaft begonnen diese Utopien zu leben. c a l c ist eine der wenigen ernstzunehmenden künstlerischen Versuchsanordnung in diese Richtung. Die Seriosität zeigt sich hier und auch in einigen anderen Fällen daran, daß Kunst nicht mehr länger als die Produktion von Werken sondern als Prozeß verstanden wird oder noch besser als Weg durch neue Räume. Das Werk hat hier bestenfalls noch begleitenden bzw. weg-markierenden Charakter.

Gruppen als gesellschaftliches Rückgrat

Es ist leicht einzusehen, daß c a l c durch seine Entschlossenheit zukunftsweisende Wege zu suchen und durch seinen Charakter als Versuchsanordnung, besonders für überlegungen geeignet ist, wie die Kommunikation einer Gruppe mit einer hochtechnisierten Umwelt geplant bzw. gestaltet werden können. Vergessen wir nicht, daß weder die telematischen Möglichkeiten noch ihre tatsächliche Verwendung kulturell durchformt sind; es fehlen eben noch vor allem die wesentlichen Beiträge der Kunst. – Hauptsächlich wohl deshalb, weil es zu oft darum geht erster zu sein, und weniger um künstlerische Kommunikationsbedürfnisse im eigentlichen Sinne. – Und vergessen wir andererseits nicht, daß es mehr und mehr Gruppen – kleinere und größere – und nicht mehr Instutionen wie Parteien oder Konfessionen sein werden, die die gesellschaftliche Entwicklung tragen werden. An anderer Stelle wird man die Gründe dafür genauer zu anlysieren haben. Hier mögen die Entstehung von Superstrukturen, wie der Europäischen Union und gleichzeitig das historische Scheitern von Kommandogesellschaften darauf hinweisen, daß es unmöglich ist, große Systeme mit großen Apparaten zu lenken sowie technologische und sonstige Neuerungen auf instutionellem Wege einzuführen und zu durchformen. Eine Superstruktur wie die Vereinigten Staaten zeigt daß ein ohnmächtiger, weil überforderter Staat Gruppen aller Art hervorbringt, die zum Teil staatliche Funktionen übernehmen. Dies zeigt sich noch stärker im Chaos der russischen Staatlichkeit. Das heißt die Bedeutung von Guppen steigt je größer bzw. schwächer die staatlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenstrukturen werden. Und natürlich muß sich diese Bedeutung nicht immer unangenehm oder gar kriminell manifestieren, wie uns dies von den Konsummedien gern beigebracht wird. Diese Medien sind eben noch nicht die Medien von Gruppen sondern immer noch diejenigen von Staaten und Konzernen. Auch das wird sich ändern. Wenn wir nun davon ausgehen, daß die Macht bzw. die Verantwortung von der staatlichen Ebene mehr und mehr auf die Ebene von Gruppen durchsickern wird, so wird sich natürlich auch deren Organisationsformen verändern müssen. Die Gruppen des nächsten Jahrhunderts werden Unternehmen, Familie, Schule, Rat und Tempel zugleich sein, was nicht bedeutet, daß alle individuellen Bedürfnisse in einer Gruppe befriedigt werden oder daß man lebenslänglich Mitglied einer Gruppe sein wird. Gruppen werden mit vielen anderen Gruppen und Individuen in regem Austausch stehen. Auf diese Weise werden die gesellschaftlichen Subsysteme (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst, Bildung) weiterbestehen aber immer weniger von Spezialistentum geprägt sein. Natürlich wird es weiter Spezialisten geben, aber diese werden Teile mulitfunktioneller Gruppen sein und der Kommunikationsbedarf dieser Individuen wird Teil des Kommunikationsbedarfs ihrer Gruppen sein.

Die Oberfläche einer Gruppe

Genau an diesem Punkt setzt meine Arbeit mit der Frage an: Wie deckt eine Gruppe ihren Kommunikationsbedarf, wie findet sie geeignete Interaktionspartner, wie präsentiert sie sich der öffentlichkeit, wovon lebt sie, wie kommt sie zu neuen Mitgliedern, wie schützt sie sich. Man könnte alle diese Fragen im Satz zusammenfassen: Was spielt sich auf der Haut bzw. der Oberfläche von Gruppen ab? (In Klammer sei hinzugefügt, daß diese Fragen nicht mit denen von “Marketing”, “Public Relation” “Head Hunting” usw. gleichgesetzt werden können, denn all diese Fragestellungen sind von einem gesellschaftlichen Subsystem – meist ist es die Wirtschaft – formuliert worden; Gruppen sind aber multifunktionaler als Unternehmen. Von daher ist auch ihre Umwelt und damit ihr Kommunkationsbedarf – letztlich ihre Haut – wesentlich anders.) Die Haut, die Grenze, die Oberfläche, das Interface von Gruppen ist aus einer systemtheoriteischen Perspektive ein Differenzierungsmechanismus für Interaktionen mit der Umwelt. Damit werden Kommunikationen in solche unterschieden, die für die Gruppe sinnvoll sind und in solche die es nicht sind. Kommunikationen verlaufen dabei fast immer in beide Richtungen; aus der Gruppe heraus und in sie hinein. So ein Differenzierungsmechanismus ist deshalb unbedingt notwendig, weil sich in jedem Zeitpunkt eine Unzahl an Kommunikationsmöglichkeiten im telematischen Raum, aber auch “drausen” ergeben und die Gruppe aus diesem Angebot auswählen muß. Wollte sie allen Kommunkationsmöglichkeiten nachgehen, wäre sie hoffnungslos überfordert, die Gruppenaktivität würde sich als “kraftloses Zittern” äußern. Die Selektivität von Interaktionen (d.h. der vorhin angsprochene Differenzierungsprozeß) macht sich nun vor allem in zweierlei Hinsicht bemerkbar: Zum einen wählt eine Gruppe unter ihren gegenwärtigen Kommunikationsmöglichkeiten aus: Eine Telefonnummer wird gewählt, das Fernsehprogramm gewechselt, ein Lokal betreten, Korrespondenz geführt etc. Zum anderen ist es aber auch möglich zukünftige Kommunikationen bereits in der Gegenwart vorzuselektieren: z.B. durch Annoncen in Zeitungen oder in anderen Medien. Im telematischen Raum ist es durchaus denkbar, daß solche Annoncen interaktiv sind, d.h. die Gruppe und ihre Arbeit und ihre Bedürfnisse vorstellt und daß die Vorstellung dem jeweiligen Interesse folgt. Der eine wird sich mehr für die technische Ausstattung und der andere mehr für die Produkte der Gruppe ein anderer wieder für ein Bildungsprogramm interessieren. Je nachdem wie wir so eine “Annonce” gestalten, wird sie die eine oder andere Gruppe oder Individuen anziehen bzw. abstoßen, wird die einen oder anderen Erwartungen wecken, wird zur direkten Teilnahme auffordern oder eben nicht. Umgekehrt wird sich die Gruppe auch aktiv auf die Suche nach Interaktionspartnern machen, wenn der Zufall nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hat. In den Computerwissenschaften ist schon der Begriff des “Agenten” aufgetaucht, eines Programmes das Teile dieser Selektions- und Präsentationsarbeit übernimmt, den Benutzer also im Netzwerk repräsentiert und entlastet. Ein Expertensystem, das über die Bedürnisse seines Benutzers bescheid weiß und sich aktiv – also irgendwie intelligent – im Netz nach Dingen umsieht, die für seinen Benutzer interessant sein könnten.

Kommunizieren im telematischen Raum

Die telematischen Medien machen es möglich, mit jedem, der an einem telematischen Netzwerk teilnimmt, zu jeder Zeit und von jedem Ort in Verbindung zu treten. Es gibt hier also keinerlei räumliche und zeitliche Beschränkung für Kommunikation. Man kann nicht so ohne weiteres die Vorstellung teilen, daß dies optimale Kommunikationsbedingungen sind. Es läßt sich zwar leicht kommunizieren, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Kommunikation überhaupt zustande kommt. Man wird sich noch genau ansehen müssen, warum dies so ist und wie dies zu lösen sei. Wie dem auch sei, die Lösung, daß Maschinen (in dem Fall Programme), als künstliche Agenten den Part der Kontaktaufnahme übernehmen werden, erscheint relativ plausibel, obwohl im ersten Moment etwas kühl und unpersönlich. Doch liegen gerade in dieser Unpersönlichkeit einige Möglichkeiten: Zunächst einmal finde ich es gut, daß sich in einem Netzwerk Ideen losgelöst von Personen begegnen können. Man kann sich nicht an äußerlichkeiten stoßen, weil keine zu sehen sind. Dem Rassismus etwa wird der Boden entzogen, weil man ja in den seltesten Fällen mehr von jemandem weiß, als den Namen und den Wohnort. Zum zweiten liegt es an den Kommunikationspartnern selbst ob sie den Kontakt auf eine persönliche Ebene heben wollen oder nicht. Wenn man sich versteht und sogar Sympathie entsteht, dann kann man sich “außerhalb” des Netzes näher kennenlernen. Zweifelsohne sind Computernetzwerke nicht der beste Ort für liebevolle Begegnungen doch zweifelsohne sind sie eine sehr gute Möglichkeit um sich überhaupt kennen zu lernen und sich über alle Distanzen hinweg erst zu finden. Man sollte sich das Netzwerk also vielleicht besser als ubiqueres Foyer vorstellen, das zu unendlich vielen Zimmern führt. Ein Ort der Begegnung, aber nicht zu vergleichen mit dem Komfort den die direkte und unittelbare Begegnung bietet. Ein gigantisches “Durchhaus”, in dem man sich auch leicht verlieren kann. Agenten oder ähnliche Programme könnten den Aufenthalt darin effektiver und angenehmer gestalten, indem sie uns einander bekanntmachen und uns zu den richtigen Türen geleiten.