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Gernot Tscherteurealitylab – September 1994

c a l c Review des Differenzierungsprozesses und der Oberflächenentwicklung

1. c a l c in Navia / Asturias

Geographie

Wohn- und Arbeitsort ist Navia, eine asturianische Kleinstadt an der nordspanischen Atlantikküste. Die umliegende Landschaft ist ausgesprochen reizvoll und abwechslungsreich. Die Vegetation besteht aus Mischwald (Eukalyptus, Pinie, Edelkastanie und Eiche) bzw. aus Weide und Grasland. Der Gesamteindruck ist auch im Sommer ausgesprochen grün. Die Sonnentage sind im Vergleich zum restlichen Spanien spärlich. Vom Atlantik zieht unablässig feuchte Luft in Form von Wolken und Nebeln heran, die an den Gebirgen gestaut werden. Das Resultat sind häufige Regenfälle und eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit. Bei Nebel ist der übergang zwichen Wasser und Luft fließend. Die wildromantische Steilküste wird immer wieder von wunderschönen Buchten unterbrochen. Der Gezeitenunerschied beträgt ungefähr fünf Meter, ideal für Wellensurfer. Die Gebirge schließen zum Teil unmittelbar an die Küste an und stehen dieser an Reiz um nichts nach. Man lebt hier vor allem vom Fischfang, von Milchkühen und von ein wenig Tourismus. Die Urlauber sind meist Zentralspanier, die ein wenig Abkühlung suchen. Die Schwerindustrie Asturiens kämpft mit den gleichen Schwierigkeiten, wie die des restlichen Europas. Die nächsten kulturellen Zentren sind Oviedo und Gijon, ungefähr zwei Stunden mit dem Auto über eine halsbrecherisch, kurvige Straße. Die galizischen Städte Lugo, La Coruña und Santiago de Compostela sind ungefähr in der gleichen Zeit aber etwas bequemer zu erreichen. Santiago ist eine der schönsten Städte, die ich kenne. Wie fast alle Regionen in Westeuropa ist auch Asturien recht keltisch. Darauf verweisen nicht nur zahlreiche Ausgrabungen sondern auch die vielen rothaarigen und sommersprossigen Einwohner und die asturianischen Dudelsäcke. Auch sonst verlief die Geschichte durch und durch europäisch. Die Mauren konnten sich nicht in Asturias durchsetzen, wodurch das Land zum Ausgangspunkt für die Reconquista wurde. Dies ist zugleich der Hauptgrund weshalb Asturias ein Prinzentum ist. Der Prinz von Asturias ist – ähnlich wie der Prinz von Wales – zugleich erster Anwärter auf die Königskrone. Nationalgetränk ist Sidra, ein euphorischer Apfelwein. Die landschaftlichen Besonderheiten und die kulturelle Tradition der Region sind für die Arbeitsweise und die Themenwahl c a l c’s äußerst wichtig. Die Wahl für ein europäisches Randgebiet fernab der Metropolen ist natürlich kein Zufall, sondern basiert auf der Erfahrung, daß Entfernungen v.a. durch die Telekommunikation schwinden und somit Zusammenarbeit durch Raum und Zeit hindurch möglich wird. Der Kontakt auf persönlicher Ebene bekommt ein anderes Gewicht und ist frei von jener Flüchtigkeit, die die Metropolen kennzeichnen. Nicht zuletzt finden diese persönlichen Begegnungen in einer großartigen Natur statt, was nicht ohne Einfluß auf die Arbeitsweise und die Ergbnisse bleibt. Nichts verdient aber mehr Beachtung als die ausgesprochene Liebenswürdigkeit der Asturianer. Ohne übertreibungen und ohne unzulässige Verallgemeinerungen zu gebrauchen, läßt sich die Behauptung aufstellen, daß hier eine bei uns in Vergessenheit geratene Menschlichkeit gepflegt wird; Die Art und Weise wie man sich begegnet, wie man miteinander spricht und seine Gefühle äußert und wie man einander hilft und unterstützt sind kulturelle Höchstsleistungen, die hier noch den Charakter des Selbstverständlichen haben. Es bedarf keiner weiteren Begründung, warum Randgebiet wie diese, zu den wichtigsten Quellen für eine menschliche Entwicklung unseres Kontinentes zu zählen sind.

c a l c als Schnittstelle zwischen Zentrum und Peripherie

Allein die geographische Randpostion c a l c’s birgt also schon ein gehöriges Schnittstellenpotential. Legt man dem Differenzierungsprozeß in Zentren einerseits und Peripherien andererseits eine gewisse strukturelle Notwendigkeit zugrunde, dann scheinen Projekte wie c a l c wie geschaffen zu sein, um hier bestimmte Austauschprozesse zu koordinieren. Eines der wichtigsten Prinzipien für einen koordinierten Austausch scheint mir zu sein, daß man beide Seiten in ihrer Charakteristik erhält und nicht nach einer Nivellierung trachtet. Der Unterschied kann für beide Seiten von Vorteil sein. Entwicklungstheoretiker neigen eher dazu, Peripherien als benachteiligt zu sehen. Dies mag in wirtschaftlicher Hinsicht stimmen, muß aber auf andere Faktoren, die die Lebensqualtiät beeinflußen nicht zutreffen; wie wir gesehen haben, ist das genaue Gegenteil der Fall. Kurz gefaßt ergeben sich vor dem Hintergrund der Differenzierung in Zentrum und Peripherie folgende Bedürfnisse nach Vermittlung: Die Peripherie muß an technologischen und kulturellen Entwicklungen partizipieren um wirtschaftlich und intellektuell weiterzubestehen. Der Errichtung von Bildungsmöglichkeiten auch in technologischen Kernbereichen kommt eine herausragende Bedeutung zu. Umgekehrt verarmen die Metroplen in menschlicher Hinsicht. Alle Metropolen leben allein vom Zuzug junger Menschen aus der Peripherie, von ihren Träumen, ihrer Kreativität und Natürlichkeit. Meist geraten diese Menschen in eine Krise. Man muß sie und alle anderen Bewohner der Zentren immer wieder im Glauben an zwischenmenschliche Werte und in ihrer Einsicht in natürliche Abläufe bestärken. Alle diese Aufgaben treffen sich in einem zeitgemäßen Verständnis von Kunst, die sich ihrer Schnittstellenfunktion bewußt ist.

Die Gruppe

c a l c wohnt im achten und letzten Stock eines der wenigen Hochhäuser Navias, mit einem einzigartigen Blick über das Städtchen, den Fluß und den anschließenden Strand. Die Wohnung dient zur Zeit auch noch als Büro und Atelier. c a l c besteht derzeit aus den Mitgliedern Teresa Alonso- Scheiderbauer(auch Resi oder Crazi Resi), Thomas Scheiderbauer- Alonso (auch T.omi oder nur omi) und Lukas Brunner (auch Lux, Lucky und sogar Luxus). Die Gruppe ist für Neuzugänge grundsätzlich offen. In der Vergangenheit gehörten ihr bis zu fünf Mitglieder an. Alle drei kommen aus einem künstlerischen Umfeld und haben sich in Basel, ihrem Studienort kenngelernt. Teresa war äußerst erfolgreich mit der Frauenband “Reines Prochaines” unterwegs.Lukas und Thomas kennen sich aus der Videoklasse der Basler Kunsthochschule. Teresa und Thomas sind verheiratet; sie haben die letzten fünf Jahre durchgehend zusammengelebt und gearbetet. Auf ausgedehnten Reisen v.a durch ägypten ist die Idee zu c a l c entstanden. Beide leben seit Ende 1992 in Navia Lukas stieß ein wenig später zu c a l c und lebt nun auch seit Ende 1992 in Spanien. Die künstlerische Arbeit der drei fällt in die Bereiche Musik, Grafik, Computer- und Videokunst. c a l c ist vor allem als künstlerisches Projekt zu verstehen. Dies geht nicht nur aus der Tatsache hervor, daß alle drei Mitglieder Künstler sind, sondern auch aus den Zielsetzungen und Plänen, die später zur Sprache kommen werden.

c a l c diseño s.c. – Wirtschaftliches Standbein und Schnittstelle zur Öffentlichkeit

In letzter Zeit widmet sich c a l c nicht zuletzt aus finanziellen Gründen mehr dem Design. Die Produkt-Palette reicht von Weinetiketten, Logos, Visiten-, Speise- und Postkarten, T-Shirts bis hin zu Konzepten und Realisierungen von Bars und Hotelleriebetrieben. Die von c a l c entwickelten Konzepte sind nicht nur im Sinne ihrer Betreiber als äußerst erfolgreich zu bezeichnen. Die Designarbeit wird von c a l c nicht als lästige Nebenbeschäftigung sondern mittlerweile als ein mittelfristiges Kernziel der Gruppe betrachtet, ohne die langfristigen Ziele der Gruppe zu vergessen, die vor allem in der Errichtung einer sogenannten interaktiven Atelierskulptur bestehen. Mehr dazu später. Die Desingarbeit hat zwei Schnittstellen geschaffen:

1. Schnittstelle zur Wirtschaft. Mit der Firmen – Gründung von c a l c diseño c.b., erhielt c a l c ein legales, und mittlerweile gut funktionierendes Standbein in der Wirtschaft. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß Gruppen, wenn sie längerfristig bestehen wollen, verschiedenste Aufgaben übernehmen und in sich verschiedene Funktionen vereinen müssen. Mit der Firmengründung hat sich die Oberfläche c a l c’s in bezug auf das Subsystem Wirtschaft ausgeprägt. Durch die finanziellen Bedingungen, vor allem durch das Ausbleiben von Unterstützungen der öffentlichen Hand, hat sich die Notwendigkeit zu diesem Schritt schon recht früh ergeben. Es ist aber anzunehmen, daß er auch unter Optimalbedingungen früher oder später hätte erfolgen müssen. Man könnte auch ganz allgemein sagen, daß eine Firmengründung, den Versuch darstellt sich in Bezug auf das Wirtschaftsystem zu definieren. Hier seinen Platz zu finden kann durchaus Idenititätsstiftend sein. Damit ist nicht gesagt, daß Identität allein davon abhängt, ob man Geld verdient oder nicht; Man sollte aber wissen weshalb man keine Tätigkeit ausübt, die Geld bringt. Und wenn man so eine Tätigkeit ausübt, sollte man wissen was sie wert ist, auch wenn man diesen Wert nicht verlangt. Die Erfahrung zeigt daß Gruppen wie Indiviuen, denen diese Frage erspart bleibt oder die sich ihr nicht stellen, langfristig in Identititätskrisen geraten. Gruppen die finanzielle Schierigkeiten aus eigener Kraft überwinden können, messen sich und ihrer Arbeit höheren Wert bei. Die Frage aufzuhören oder weiterzumachen stellt sich in dieser Form also nicht. Ein gute Schnittstelle zur Wirtschaft hin zu haben bedeutet nicht nur daß das Problem “Geld zu verdienen” abgehakt werden kann. Es bedeutet vor allem auch, daß eigene Leistungen rasch eine öffentlichkeit erreichen, wenn man dies will. Immer wieder wird der Markt als Bühne entdeckt und benutzt. Dies setzt auch dann Fachwissen voraus, wenn man kein Geschäft daraus macht. Und genau das ist die zweite wichtige Frage, die unabhängig von der vorhin angesprochenen Frage nach dem eigenen ökonomischen Wert beantwortet werden sollte. Die Frage lautet: Ordnen wir uns den ökonomischen Spielregeln unter und folgen wir der ökomischen Leitdifferenz von profitabel und nicht profitabel? Oder verwenden wir die Wirtschaft nur als Medium? In der Regel erweist sich die Beantwortung dieser Frage als Gratwanderung, bei der andere, z.B. künstlerische Gesichtspunkte abzustürzen drohen oder überhaupt nicht mehr ersichtlich sind. ökonomische Gesichtspunkte und Mechanismen überdecken nicht nur in der Kunst mehr und mehr die systemeigenen, sodaß man wie in der Politik um den Bestand der Systemautonomie fürchten muß. Beide Systeme, Kunst und Politik, erscheinen mehr und mehr fremdgesteuert und lassen Selbstorganisation vermissen. Die begrüßenswerte Einigung Europas in Form der EU mag als Beispiel dafür dienen, wie sehr politische Prozesse von der Wirtschaft initiiert und gesteuert werden.. Die Frage, wie die verschiedenen Bereiche getrennt, bewertet und sinnvoll verbunden werden können, ist von allgemeiner Bedeutung, ist aber von jedem und jeder Gruppe selbst zu entscheiden. Sie wird sich je nach den Gegebenheiten immer wieder und immer wieder neu stellen. c a l c konnte es bis dato vermeiden in finanzielle Abhängigkeiten zu geraten, die die künstlerischen Ziele gefährden würden. Die finanzielle Abhängigkeit c a l c’s konnte nicht zuletzt durch die großzügige Hilfe eines Privaten – der ungenannt bleiben will – vermieden werden. Die Hilfe besteht darin c a l c jenes Geld zu borgen, daß notwendig ist um Casqueiro zu renovieren und das umliegende Terassenland zu erwerben. Als Gegenleistung verpflichtet sich c a l c alle zwei Monate ein Bild zu machen, daß die Entwicklung c a l c’s im weitesten Sinne reflektiert. Nach drei Jahren, 1997, soll eine von c a l c organiserte Ausstellung der so entstandenen Werke stattfinden. Der Erlös wird halbiert und somit beginnt die Rückzahlung des Kredites. Die Bilder sind die Zinsen.

2. Schnittstelle zur regionalen öffentlichkeit. Ein wichtiger Effekt der Designarbeit von c a l c war es, in Navia bzw. Westasturien Partner, Verbündete und Freunde zu entdecken und zugleich auch die Grenzen des Erreich- und Wünschbaren abzustecken. Zweifelsohne ist c a l c ein wichtiger Impuls für alle jene, die an kultureller Bewegung interessiert sind. c a l c unterstützt Gleich- oder ähnlichgesinnte bei grafischen Fragestellungen wie Plakaten, Einladungen und Folders. Oft sind es schlicht und einfach Freundschaftsdienste. Wenn man die Bars von Navia besucht, wird man früher oder später mit Sicherheit auf die Handschrift c a l c’s stoßen. Bisher wurden drei Bars ganz wesentlich mitgestaltet. Eine von ihnen, sie heißt so wie eine Wiener Szene-Institution, Blue Box, wurde quasi von A-Z durchgestylt und durchkonzipiert. Die Bauarbeiten und die anschließende Inbetriebnahme fielen in meine Anwesenheit. Ich habe mich am Lichtdesign beteiligt und konnte so alles aus nächster Nähe beobachten. Ohne Zweifel ist die Blue Box die schönste Bar Navias. Ihre ästhetische Anziehungskraft beruht in erster Linie auf einer gelungen großflächigen Farbkomposition auf zwei Stockwerken, die zusammen mit dem Licht für eine bewegte Atmosphäre sorgen. Oben Nachtleben, Tanzmöglichkeit und MTV. Unten ein Raum für ausgedehnte entspannte Unterhaltungen mit Brettspielen, der zugleich als Ausstellungsraum dient, ohne TV (für Spanien fast undenkbar) und letzendlich eine sehr geräumige, luftige Terrasse. Das Konzept c a l c’s war aber noch viel umfassender. Natürlich umfaßte es die Werbung, aber auch den Betrieb, vor allem in künstlerischer Hinsicht. Bisher wurden zwei Ausstellungen verwirklicht. Die Blue Box war als lokale Kultur-Plattform konzipiert, die von c a l c laufend weiterentwickelt und selbst benutzt werden sollte. Die Bar geht ausgezeichnet hat und beginnt nun nach und auch ihre Funktion als Kulturplattform in Form von Konzerten und Fiestas einzulösen. Trotzdem sind viele der Ideen c a l c’s bis jetzt noch nicht eingelöst bzw. aus Verständigungsschwierigkeiten auf der Strecke geblieben. Ein Rückgang der Gästezahlen und ein erneuter Umbau könnte noch einmal die Frage aufwerfen, ob man sich beteiligt, und wenn ja, wie die eigenen Interessen am besten zu wahren sind. Der Einfluß c a l c’s auf die örtliche Kunstszene ist beträchtlich, was sich nicht zuletzt daran zeigt, daß Gestaltungsideen übernommen oder kopiert werden. Es ist anzunehmen, daß ab dem Zeitpunkt an, da der Betrieb in Casqueiro aufgenommen wird, sich die Themenschwerpunkte in Bezug auf das Engagement in Navia selbst verändern werden. Wahrscheinlich werden die elektronischen Medien noch mehr Raum einnehmen und neue Verdienstmöglichkeiten bieten. Es ist anzunehmen, daß es dabei Assistenten und Schüler geben wird.

2. c a l c die interaktive Atelierskulptur

Die Idee von Casqueiro und der interaktiven Atelierskulptur ist für das Verständnis und die Existenz von c a l c zentral. Wie mir c a l c versichert hat, ist die Idee der “interaktiven Atelierskulptur” mit c a l c gleichzusetzen. Natürlich ist niemand besser geeignet, als c a l c selbst, um diese Idee zu erklären, weshalb die entsprechenden Originaltexte im Anhang unbedingt zu empfehlen sind. Auf der anderen Seite hat die Entwicklung der Idee gezeigt, daß immer auch die Sichtweisen Dritter ideenverändernd wirken. c a l c war sich von anfang an der Tatsache bewußt, daß die eigene Identität nur über einen Kommunikationsprozeß mit der Umwelt zustande kommt. Ein Satz Flussers, der oft in die Texte c a l c’s eingeflossen ist, verweist sehr schön auf diesen Umstand – und zugleich schon auf den inhaltlichen Schwerpunkt der interaktiven Atelierskulptur:

“Wenn von Telematik die Rede ist, geht es um das Nahebringen des Fernen, also um Boten und Botschaften. Vor allem aber – dies ist den Menschen nicht immer bewußt – um jene wichtigste Botschaft, die besagt, daß wir nur zu uns selbst kommen können, wenn wir zum anderen kommen.”

Identität braucht das Konzept der Individualität, der Einzigartigkeit anderer, denn nur Wesen, die über diese Eigenschaft verfügen, können unser Dasein in einer Weise reflektieren, die Rückschlüsse auf unsere eigene Einzigartigeit zuläßt. Wir verwirklichen unsere Existenz zwar als operational und informationell geschlossene Systeme, aber trotzdem oder besser: gerade deshalb brauchen wir die Auseinandersetzung mit anderen, strukturell ähnlichen Wesen, die uns reflektieren. Die Entwicklungsgeschichte c a l c’s zeigt, daß dies nicht nur für Individuen sondern in abgewandelter Form auch für Gruppen und ihre zentralen Ziele gilt. Es gilt umso mehr, wenn sich die Individuen mit der Gruppe und deren Zielen indentifizieren. Auch das ist bei c a l c in höchstem Maße der Fall. Im Folgenden wird zu zeigen sein, wie sich die Oberfläche c a l c’s in dieser Auseinadersetzung mit seiner Umwelt herausgebildet hat. Wie wir im Verlauf der Analyse gemerkt haben, können hier drei Ebenen oder besser: Dimensionen unterschieden werden, in denen sich der Differenzierungsprozeß erstreckt und entlang derer er sich entwickelt hat. Auch hier ist größtes Augenmerk auf den Prozeßcharakter zu legen, in dem sich diese Formen herausgebildet haben. Beides, die Differenzierung in Interaktionsformen und die Betonung des Prozeßcharakters sind aus praktischen Gegebenheiten entstanden, sind also (noch) nicht theoriebedingt.

Poetisch – Assoziativ

Unter diese Dimension fallen die künstlerischen Werke, Vorstellungen, Träume und Ideen, die c a l c zum Inhalt haben oder sich um c a l c drehen. Omi hat es so formuliert: “Rückblickend betrachtet war alles schon von Anfang an in unseren Vorstellungen und Träumen, ohne daß wir es hätten benennen oder in klare Bilder fassen können. Dies ist uns erst mit der Zeit durch die Auseinandersetzung mit uns und mit anderen gelungen. ” Die Idee, c a l c oder etwas ähnliches zu gründen, entstand während des ägyptenaufenthaltes von Omi und Teresa (Ende 1989 – Ende 1990). Sie beteiligten sich am Aufbau des Atelierhaus “Shabramet” in Kairo, an dem sich unter anderem die Schedische Kunstakademie und die Pro Helvetia beiligten. Sie arbeiteten als Schreiner und Designer and der Fertigstellung des Ateliers und halfen Adel, dem Hausherrn, bei der Formulierung des Konzepts. Trotz der intensiven Beteiligung hatte das Atelierhaus selbst nur wenig Einfluß auf die Idee von c a l c hatte. Sie kiritisierten vor allem das Nebeneinander verschiedener Arbeitsprozesse. Schon in der VIA Basel (Video- Audiokunst – eine Künstlergenossenschaft) hatten sie erkannt, daß es ihnen zu wenig ist, nur eine Infrastruktur mit anderen zu teilen und Kunst nebeneinander zu produzieren. Die Vorstellungen von einem idealen Atelierhaus konkretisierten sich, als sie den Bauunternehmer Sherif el Ghamrawy kennenlernten. Sherif hatte den Traum – und offensichtlich die Mittel – im Sinai ein Dorf zu bauen. Teresa und Omi sollten sich überlegen, wie ein Haus auszusehen hätte, das als Begegnungsort internationaler Künstler geeignet wäre. Die Aufgabe war faszinierend, und so entstanden die ersten Pläne und Konzepte. Im Mittelpunkt standen damals noch die Malerei, Bildhauerei, Grafik und Video. Von Telematik war damals noch nicht die Rede. Mit dem Computer war bisher nur Teresa ein wenig vertraut. Die Aufgabe, sich ein Atelierhaus zu überlegen, hatte nicht nur die Vorstellungen stärker werden lassen, sondern auch den Wunsch danach. Die kriegerischen Ereignisse im Irak und der Umstand, daß ägypten ein sehr trockenes Land ist, und sich Teresa nach Grün sehnte, führten aber dazu, den Aufenthalt in ägypten abzubrechen und sich anderswo nach einem geeigneten Ort für ihre Ideen umzusehen. Noch in der Wüste erzählte Teresa oft von ihrer grünen Heimat Asturias, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte und wo ihre Familie ein altes Haus besitzen soll, von dem sie das Gefühl hat, daß es bald abgerissen werde. Und schon bei der überfahrt nach ägypten ereignete sich etwas, das für beide prägend gewesen sein muß: Auf ägyptischen Schiffen ist es Sitte, daß Männer und Frauen in getrennten Abteilen die Nacht verbringen. Thomas hatte einen eigenartigen Traum und ging nochmals an Deck, um ihn sich zu notieren. Es dauert nicht lange, bis er auf Teresa stößt, die sogleich beginnt, ihm einen Traum zu erzählen, der dem seinen in Details ähnelt. Zum Beweis kann er ihr auch noch seine Notizen zeigen. Der Traum handelt von einem Haus, das in der Kurve liegt, mit einem gläsernen Vorbau im ersten Stock, ähnlich einem Wintergarten. Trotzdem ranken sich die Vorstellungen jetzt noch eher um ein Atelierdorf als um ein einzelnes Haus. Ein Dorf als Nukleus für eine Neuentdeckung der Menschlichkeit und menschlicher Begegnungen.

“etwa 50 hektare land in klimatisch günstiger Gegend, an einem kulturellen Achsenpunkt vielleicht (...) man kann sich vielleicht ebensogut in schon bestehendem ein- und ausleben, die architekten auch umgehen, einzweidrei häuser kaufen und wie gehabt kunst lebendenkensagen, aber das schlösse eben die schlösser aus – die schlüsselkünstler.”

So entsteht das Konzept zu “Casarte”, (Casa-Arte), einem ehemaligen Schulgebäude in Asturias, das noch wesentlich größer ausgelegt ist als das spätere Konzept in Casqueiro. Casarte wurde mit dem schweizer Bildhauer Spallo Kolb entwickelt und trägt noch alle Züge eines Atelierhauses, um das herum weitere Häuser entstehen könnten.

“klare öffnungen, hinter denen alle gegenteile sichtbar, leiseste Töne hörbar sein müssen können. fenster: blick in die natur, in die öffentlichkeit. tür: schritt in die kultur, in die öffnung. wand: voraussetzung für blicke, schritte, dass fenster und tür licht und schatten wandern lassen. nicht: öffentlich-privat, sondern: öffentlich-öffnedich. das heißt in diesen (s) innen, dass es ein ort will geben der das kind, den Menschen als einzelnen, unbedingten, eigentlichen würdigt und einläd, das “ich” zu besten zu geben. wie sieht das aus? wo kann das entstehen? kunstadt”

Die Pläne mit Casarte zerschlagen sich noch einmal, aber was geblieben ist, sind schon recht genaue Vorstellungen von dem, was sie wollen und was sie nicht wollen. Teresa und Tomas fahren zurück nach Basel. Im Jahr 91 werden sie schließlich mit den Büchern Flussers vertraut und nehmen den Gedanken der Telematik begeistert auf. Die Idee der Telematik, Kommunikation aus Raum und Zeit zu lösen, erweitert ihr Konzept radikal. Neben der physischen Begegnung im Atelierhaus bzw. -dorf die immateriellen weitgespannten Netze der Telematik. Erste Arbeiten am Computer entstehen auf dem Gerät von Teresas Schwester Luisa.

Ende des Jahres 1991 kehren sie nach Asturias mit der festen Absicht zurück, diesmal das richtige Haus zu finden. In der Zwischenzeit errichten sie ihr Wohn-Büro mit Blick über Navia im achten Stock (octavo). Ende 1992 entschließt sich Lukas Brunner, die Gruppe um seine Person zu erweitern. Zu dritt begeben sie sich auf intensive Suche nach Häusern. Als schließlich zwei Häuser in der engeren Auswahl verbleiben und sie sich für eines entscheiden müssen, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen allen dreien, einem Streit, der die Gruppe zu zerreißen droht. Omis und Lukas´ Präferenzen liegen auf einem recht großen Neubau, der rasch für c a l c’s Zwecke adaptierbar wäre. Teresa setzt auf Casqueiro, das als Haus extrem renovierungsbedürftig ist, aber größere Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Casqueiro verfügt über vier oder fünf Gartenterrassen, die sich für die Kultivierung ebenso eignen wie für die Erweiterung um neue Bauten.Teresa setzt sich mit ihrer Position, sich für Casqueiro und damit für ein langsameres, organischeres Entwicklungstempo zu entscheiden, durch. Mittlerweile sind sich alle drei darin einig, daß es auch eine Entscheidung für ein gesundes Augenmaß und gegen den “Größenwahn” war. Zusammen mit der Architektin Marina Hämmerle beginnt Teresa mit der Ausarbeitung eines architektonischen Konzeptes für Casqueiro, daß in Form der GREY BOX veröffentlicht wird. Die Pläne sehen im unteren Stockwerk ein telematisches Labor und ein kleines Büro vor. Oben die zwei Schlafräume und eine geräumige Wohnküche. Dem Essen ebenso wie dem kunstfertigen Zubereiten von Speisen, dem Mahl als Gelegenheit zur Begegnung, haben die drei eine zentrale Stellung eingeräumt. Rund um diese Wohnküche die Polythek – eine Kombination aus Biblio- Videothek, Kunstsammlung und allem was zur Musik gehört. Beide Stockwerke sind nur durch eine außerhaus befindliche Erschließung miteinander verbunden. Rund um Casqueiro ist die Errichtung eines Schlafhauses, eines Waschhauses und in einer etwas späteren Phase der Bau eines Werkstättenhauses und eines Wohn- bzw. Arbeitshauses für Gäste geplant. Dabei denken sie an eine Größenordnung von 5, 10 vielleicht 15 personen. Alles in allem überschaubare Strukturen und Mengen. Alles was an Projekten zukünftig in Casqueiro passiert, sollen Gemeinschaftsprojekte mit c a l c im c a l c-Kontext und mit direkter Beteiligung der Gruppenmitglieder sein. c a l c ist eben mehr als eine bloße Infrastruktur und ein neutraler Arbeitsplatz. Der Dorfgedanke hat so, wie viele andere Gedanken auch, eine ganze Reihe von Neuinterpretationen durchlaufen, was bezeichnend für einen Differenzierungsprozeß ist. Veränderungen in der Umgebung und Veränderungen in der Gruppe selbst treiben diesen Prozeß voran. In diesem Abschnitt sind es vor allem die Veränderungen in der Gruppe selbst, auf die wir unser Augenmerk gerichtet haben. Ideen, Vorstellungen, Träume und schließlich Kunst dienen dabei als veräußerlichte, konkretere Formen für Gefühle, die somit kommunizierbar und auch zeitlich vergleichbar werden. Dadurch entsteht zweierlei. Einerseits Identität, sowohl die der Gruppe als auch die ihrer Mitglieder, wobei die Gruppenidentität erst aus dem Nichts entsteht, während sie bei Omi, Teresa und Lukas als Individuen schon längst ausgeprägt ist. Zweitens Geschichte als Abfolge von verschiedenen Entwicklungsstadien von Vorstellungen. Beide Seiten (Gruppen-)Identität und (Gruppen-)Geschichte, bringen sich gegenseitig hervor. Die Trennung in Veränderungen, die von innen bzw. außen hervorgerufen werden, erscheint auf den ersten Blick als recht willkürlich, soll jedoch betonen, daß jede Gruppe einen Mechanismus hervorbringt, mit dem sie ihre eigene Entwicklung reflektiert und daß dieser Mechanismus für Geschichte, Identität und somit für die relative Gruppenautonomie mindestens ebenso wichtig ist wie äußere Einflüße. Das poetisch assoziative System hat somit dem Nervensystem verwandte Eigenschaften (was auf den ersten Blick etwas eigenartig klingt): Erstens ist es in der Lage äußere Ereignisse vor dem Hintergund eigener Vorstellungen aber auch eigener Erfahrungen zu verarbeiten. Zweitens ist dieses System durch und durch kreativ, indem es immer neue Vorstellungen und Ideen hervorbringt, die als Hintergrund für Interaktionen mit der Umwelt dienen. Umgekehrt wird es natürlich so sein, daß solche Interaktionen mit der Umwelt auch die Vorstellungen und Ideen einer Gruppe prägen werden. Sowohl Interaktionen mit der Umwelt als auch Verarbeitungsprozesse im Inneren einer Gruppe, vor allem im poetisch-assoziativen Bereich wirken grenzdefinierend und grenzbildend, indem der eben skizzierte Verarbeitungsprozeß immer und immer wieder durchlaufen wird. Von Stabilität einer Gruppe in einem solchen Differenzierungsprozeß kann dann gesprochen werden, wenn einerseits die Vorstellungen der Gruppe über ihre Entwicklungsprspektiven und Aufgaben “ausgegoren” sind, und andererseits die Umwelt relativ klare Vorstellungen von der Gruppe hat. Letzteres ist ein aktiver Veränderungsprozeß, der von der Gruppe selbst ihren Ausgang nimmt. Wie einzelne Lebewesen so sind auch Gruppen nicht in einem passiven Abhängigkeitsverhältnis von ihrer Umwelt, sondern verändern diese laufend durch ihre Selbstverwirklichung. Die BLACK BOX markiert im Differenzierungsprozeß c a l c’s einen wichtigen Entwicklungschritt. Die BLACK BOX sollte die zukünftige Arbeitsatmosphäre in Casqueiro vorwegnehmen, sollte so aussehen als wäre sie in Casqueiro selbst entstanden. Zugleich sollte sie auch inhaltlich den Grundgedanken c a l c’s reflektieren und ihn zumindest auf einer intuitiv künstlerischen Ebene einem größeren Publikum vorstellen: Zentral für die BLACK BOX ist der Gedanke der Verwobenheit, des Wechselverhältnisses zwischen dem Einzelnen und einem allgemeinen Ganzen, das aus integrierten Einzelbeiträgen entsteht, sowie die Aufforderung an jeden Einzelnen und Vereinzelten, sich auf c a l c zuzubewegen und an einem gemeinsamen kreativen Prozeß teilzuhaben. Als sichtbares Zeichen dieser Einladung ist eine Diskette in die BLACK BOX integriert, die erklärende und einladende Texte enthält. Schließlich sollte diese Diskette das Medium sein, mit dem alle Käufer der Black Box untereinander in Verbindung stehen würden. c a l c gab allen Käufern aus diesem Grund den Titel “Interaktionsaktionäre”, weil sie durch den Kauf der Black Box an den daraus resultierenden Kommunikationen teilnehmen und profitieren könnten.

So wie die “Wissenschaffenden” überall dabei sind aus dieser Einsicht Schlüsse zu ziehen und ihr Leben dialogischer zu kultivieren beginnen, wollen auch wir “Kunstschaffende” in dieses Netz des Zusammenspiels um unsere Ideen einzuflechten. Diese Sicht muß geübt werden; Wir sind hartnäckig daran gewöhnt unseren Augen zu trauen und die scheinbaren Grenzen als gegeben und nicht als geschaffen anzusehen. Diese Grenzen in unseren Köpfen, Herzen und Beziehungen zu überwinden ist hohes Ziel, höchste Zeit…Die Individualität (das Unteilbare) ist unglücklich in der Enge stecken – und stehengeblieben. Sie nicht als Voraussetzung sondern als Endzweck verteidigend führt sie in die Zerrissenheit des seiner besten Kräfte beraubten, Einzelnen. Diese Kraft des Mitschwingens mit dem anderen, zum anderen kommen, durch das “Fremde” das Eigene zu sehen, dialogisch, in welcher Form des Tanzes auch immer, ist notwenig zur Klärung unserer Verhältnisse. ... Wir sehen so weit-so gut, die Bewegung die Wandlung dieser Fragen um “Kommunikation und Isolation” vorallem auf drei Ebenen relevant. Die erste alles voraussetzende, ist das “Bett”. In Asturias ist es gewaltig Natur. Man schläft tief und träumt “viel”. Bedingt durch seine Abgeschiedenheit bietet es endlos leere Luft zu atmen, allein zu sein sich zu er-innern. Also planen wir ruhige lichte, schattenbewußte Schlaf- und “Wasimmerzimmer”. Die zweite ist die öffnung, die direkte Begegnung, Bewegung, der Dialog, das Alltageinaus, Zusammenleben. Also konzipieren wir dementsprechend Räumlichkeiten. Das “Gemeinschaftsatelier” ist demnach im Bild vom im Kreisstehenden Sesseln zu fassen. die Küche ist groß und der Tisch darin alles vom Konferenztisch bis zum Romantisch. Die dritte ist die Absicht, das Haus als Sende- und Empfangsstation zu installieren. Also auch diese hinfälligen Mauern transparent zu machen und die Möglichkeiten der telekommunikativen Techniken zu erforschen. Uns in die Netze der Wissenschaft, ökonomie und anderer Zweige einzuknipsen und dialogisch zu schalten.

Künstlerisch und auch finanziell stellt sich die BLACK BOX als voller Erfolg heraus. Die ganze Serie von 43 Stück wird verkauft und mit dem Erlös kann ein Gutteil des Kaufpreises von Casqueiro aufgebracht werden.

Institutionell – Formal

Die öffentlichen Stellen, die Kulturministerien, Kulturabteilungen der Länder und Städte, und die diversen Stiftungen erwiesen sich bisher als wenig hilfreich beim Aufbringen des Geldes, das notwendig ist, um Casqueiro zu renovieren oder den Ankauf technischen Gerätes zu ermöglichen. Trotz wiederholter Absagen beharrt c a l c auf der Fortsetzung des Dialoges mit öffentlichen Stellen und privaten Sponsoren, was oft erzürnte Reaktionen zur Folge hat. Der Grund für c a l c’s Beharrlichkeit liegt darin, daß selbst Absagen dienlich sind, um das Bild, das man in der öffentlichkeit hat oder ihr mittels der Selbstdarstellung bietet, zu reflektieren. Wenn man sich die Korrespondenz genauer betrachtet, so überwiegt zwar der Anteil oberflächlicher Erledigungen seitens öffentlicher und privater Stellen, doch bei einigen ist die Auseinandersetzung durchaus tiefergehend. Bei einigen erscheint das Bedauern nicht weiterhelfen zu können, weil entweder die Mittel oder die statutarischen bzw. gesetzlichen Grundlagen fehlen, durchaus echt. Trotz des finanziellen Mißerfolges ist es mit den Gesuchen gelungen, eine für den Kulturbetrieb äußerst wichtige Gruppe von Menschen anzusprechen. In einem Land wie österreich etwa, in dem der private Kunstmarkt so gut wie nicht existent und privates Sponsoring in den Kinderschuhen steckt, sind die staatlichen Stellen nicht nur die wichtigsten Geldquellen: Der sich öffnende oder schließende Geldhahn entscheidet in der Regel nicht nur über Existenz oder Nicht-Existenz von Initiativen, sondern indirekt auch über ihren künstlerischen Wert. Ohne die genauen Mechanismen hier darzustellen, wage ich die Behauptung aufzustellen, daß ein österreichischer bildender Künstler oder ein künstlerischer Verein, der nicht staatlich gefördert wird, kaum öffentliche Anerkennung erringen wird, selbst wenn er Multimillionär wäre, und keiner Förderung bedürfte. Kunst in österreich ist bei allem Pluralismus und bei aller Modernität, die zur Schau gestellt werden, ein staatlicher Monopolbetrieb. Auch die Auseinandersetzung mit solchen und ähnlichen Betrieben ist natürlich identitätsbildend. Im Kern sagen die öffentlichen Absagen immer das eine: “Wir finden das Projekt hochinteressant, sehen uns aber außerstande, Infrastrukturen zu unterstützen”. c a l c’s Interpretation von Kunst als Kommunikations-Prozeß in eigens dafür geschaffenen Kommunikationsräumen wird nicht oder erst in Ansätzen akzeptiert. Mit den Absagen ist zwar nicht gesagt, daß das was in Casqueiro passiert, nicht Kunst wäre, aber der Kunstcharakter des Gesamtprozesses wird bestritten. Die Neuordnung von Lebens- und Arbeitsverhältnissen, eine künstlerische “Versuchsandordnung” wird noch nicht als Kunst akzeptiert. Zu durchscheinend, zu vage ist das Bild der Versuchsanordnung um dahinter nicht immer wieder das Bild der technischen und räumlichen Infrastruktur erkennen zu lassen. So entsteht der Begriff der “Infraskulptur” bzw. “der Atelierskulptur”. Dieser Begriff hat wie auch sonst viel in c a l c mit Joseph Beuys und seinem Begriff von der sozialen Plastik zu tun. Ziel der interaktiven Atelierskulptur ist es, Persönlichkeiten, Ideen und Gestaltungsformen aus den verschiedensten Bereichen (Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Kunst) zusammenzubringen und ihnen ideale Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dies geschieht einserseits in einer Workshop-/Werkstattatmosphäre, in der die teilnehmenden Personen physisch anwesend sind und andererseits mittels des Telematischen Labors, das die zeit- und ortsungebundene Zusammenarbeit ermöglicht, indem Texte, Bilder und Töne übermittelbar werden. So reicht die Bandbreite der einsetzbaren Werkzeuge vom Hammer über den Pinsel bis hin zum digitalen Video-Schnittplatz. Der Begriff interaktive Atelierskulptur findet insofern seine Berechtigung, als das Ganze eine künstlich/künstlerische Anordnung ist, die einzig und allein drauf ausgerichtet ist, Zusammenarbeiten zu ermöglichen, die bisher noch nicht möglich waren; deshalb noch nicht möglich war, weil weder die dafür notwendigen Freiräume, noch die dafür notwendigen Werkzeuge und Lebensbedingungen vorhanden waren. c a l c ist allerdings nicht nur eine Hülle, in der sich Beliebiges ereignet. c a l c existiert auch ohne Gäste, und so ist immer eine Grundstimmtung eine Grundatmosphäre, ein Motor vorhanden; und schließlich werden auch die verschiedenen Personen von c a l c selbst eingeladen und ausgesucht. In unseren Gesprächen ist oft das Bild von der Zelle aufgetaucht: Mit Teresa, Lukas und Omi als Zellkern, der den Stoffwechsel und die permanente Reproduktion dirigiert. Teresa ist im Scientific American auf einen interessanten Artikel gestoßen, der auch das Verhältnis von Gästen zum Ausdruck bringt: Der Artikel berichtetvon einer symbiotischen Form, in der kleine Algen als Zellgäste in anderen Einzellern aber auch Vielzellern Aufnahme finden und bestimmte Funktionen übernehmen. Das Bild vom Zusammenspiel kleiner Zellen mit einer großen Zelle, das für beide Seiten von Vorteil ist, und die “organische ästhetik” des Ganzen trifft den Sachverhalt c a l c bzw. Interaktive Atelierskulptur sehr gut. Was in diesem Bild allerdings fehlt ist das Zusammenspiel zwischen den Zellgästen und ihre gegenseitge Beeinflussung. Besonders gut kommt auch zum Ausdruck, daß c a l c keine tote, vermittelnde Struktur ist, sondern selbst ein autonomer Organismus, der allerdings mit Gästen besser lebt. Ein organischer Prozeß, der sich durch Interaktionen aufrechterhält und selbst ständig Interaktionen provoziert, die wiederum andere Prozesse aufrecht erhalten. Ein wunderschönes Bild für Kunst, wenn einem an dieser Etikette noch etwas liegen sollte, vor allem aber ein wunderschönes Bild für Leben, das die individuellen Grenzen überwindet.