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PETER WENGER & GERHARD WASER |
T O P O G R A P H I E "Topographie" heisst eine vierdimensionale Installation, die Skulpturen und Videobilder als ein komplexes, raum-zeitliches Erlebnis vorstellt. (...) Durch Zeichen und Bilder wird eine "topographische" Situation inszeniert, die sich provokativ zwischen Chaos und Ordnung bewegt. Die Skulpturen von Geri Waser und die Videobilder von Peter Wenger erscheinen dabei nicht nebeneinander, sondern als Bestandteile eines aesthetischen Ganzen. Sie stehen in einer Wechselbeziehung, insofern die geometrischen Konstruktionen sowohl einen skulpturalen Rahmen fur die Videomonitore bilden wie auch als Projektions und Spiegelflaeche fuer die Bilder dienen. Diese erscheinen auf den verschieden bearbeiteten Glaesern - klar, geschliffen, gewachst - verfremdet. Bei den Videobildern handelt es sich um gefundenes, sekundaeres Material, found footage, das dem allgegenwaertigen Medium Fernsehen entnommen worden ist. Es werden nur wenige "realistische" Bilder gezeigt. Im Zentrum stehen graphische Abstraktionen, Diagramme oder Plaene aus verschiedenen Wissenschaften: Geographie (Hoehenkurven, Berge, Taeler), Medizin (Koerpertomographie), Technologie (Chips und Platinen) und Architektur (Grundrisse und Plaene). Die Videosequenzen praesentieren so eine "Topographie der Gegenwart". Stadt und Landschaft, menschliche Koerper und Gesichter, technische Elemente und Prozesse erscheinen ansatzweise geordnet und inventarisiert. Als eine wesentliche Errungenschaft der Zivilisation und als Zeichen des Fortschritts gilt die Faehigkeit des Menschen, abstrakte Konzepte und Prozesse zu verstehen und zu visualisieren. Was die Kapazitaet des menschlichen Auges ueberschreitet, sei es durch die extreme Grosse (Landschaft) oder Kleinheit (Technik und Natur), durch Unzugaenglichkeit (Medizin, Architektur, Technik) oder auch durch eine zunehmende Komplexitaet von Wissenschaft und Technik allgemein, wird nahezu ueberall durch graphische Zeichen aufbereitet, schematisiert und bildlich vergegenwaertigt. (...) Informationen werden durch ein abstraktes, visuelles Vokabular uebermittelt, das wie die Sprache bestimmten Gesetzen und Konventionen, also einer Grammatik, folgt. Die Skulpturen von Geri Waser reprasentieren verschiedene Formulierungen einer reduziert konstruktivistischen Formen- und Farbsprache, die sich auf ein horizontal-vertikales Koordinatensystem und sechs Standardelemente (Rahmen in drei verschiedenen Groessen sowie Stangen in drei verschiedenen Laengen) beschraenkt . Das Bildmaterial wird in fuenf Videoprogrammen ausgestrahlt, so dass sich Bilder aus den verschiedenen Themenbereichen staendig abwechseln und vermischen. Vier der Videosequenzen laufen synchron und sind in Bildschnitt und Bildauswahl praezise aufeinander abgestimmt. Diese parallele Bildkomposition wird durch ein fuenftes, asynchron laufendes Videoband gestoert, durch das sich weitere neue Bildkombinationen ergeben. Die Videosequenzen erscheinen auf insgesamt elf Monitoren, die in den Skulpturen, an den Waenden, an der Decke, also im gesamten Raum installiert sind. Die Abfolge von Standbildern und bewegten Bildern (reale Bilder und Simulationen) sowie die Montage und Ueberlagerung (overlaps) von Bildern aus verschiedenen Bereichen ergibt ein optisches Imbroglio - eine Verwirrung, die einer "durch Vermischung und Ueberlagerung verschiedener Taktarten bewusst herbeigefuehrten rhythmischen Verwicklung" entspricht. Der Computerchip wirkt als komplexes urbanistisches Gebilde. Geographische Oberflaechenstrukturen scheinen innere physische Prozesse zu simulieren. Das schon auf dem Bildschirm immaterielle Videobild wird durch die Reflexion in den Glaesern weiter entmaterialisiert und erscheint schwebend im Raum. (...) Der Gang des Betrachters durch den Raum ist ein topographisches Erlebnis, bei dem bereits reproduzierte Bilder aus immer neuen Perspektiven und in sich staendig transformierenden Variationen wahrgenommen werden. Bei jedem Schritt verschiebt sich alles, und es entsteht ein veraenderter Eindruck unter neuem Blickwinkel. Das Resultat entspricht einer sinnlich stimulierenden, konfusen Welt, die die endlose, sich staendig steigernde Multiplikation von Reproduktionen paraphrasiert. "Topographie" beschraenkt sich nicht auf eine pessimistische Bestandsaufnahme zum Verlust des Realen oder des gegenwaertigen Zustands der universalen Simulation, sondern entdeckt und spielt mit dem aesthetischen Potential synthetischer Informationen in einer multimedialen Komposition. (Leicht gekuerzter Text aus dem Katalog zur Ausstellung "Projekt Schweiz ll, Natur - Kultur", Kunsthalle Basel, 1994) Christoph Grunenberg |